Der Name des Helden. Psychoanalyse eines Wiedergängers
Ein unveröffentlichtes Fragment von Wolfgang Kaempfer'
Ein unveröffentlichtes Fragment von Wolfgang Kaempfer'
Ein Freund und Psychiater wendet sich an den Erzähler mit der Bitte, ihm in einem Fall zu assistieren, der seine Kompetenzen überschreitet. Ein Patient ist in die Notaufnahme der Klinik eingeliefert worden, in der er beschäftigt ist ... Haar und Bart verwildert, die Brust halb entblößt, von athletischer Statur, ein kaum verständliches Kauderwelsch sprechend: Französisch, Englisch, Deutsch, Griechisch ... (es kehrt in der folgenden Dialogskizze allerdings nicht wieder).
Schließlich einigt man sich auf Deutsch ... das er nicht minder fließend spricht als alle übrigen Sprachen. Er erzählt, daß er auf der Flucht ist vor einer Tat, die sechzehn Menschen das Leben kostete, bevor er sich selbst umbrachte ... eine Behauptung, die er durch sein Erscheinen widerlegt, an der er jedoch festhält. In seiner Person, erklärt er, sei es zu einer Personalunion mit einem Wiedergänger, einem Ahn gekommen ... was unter anderem auch die namenlose Angst erkläre, die er mit seiner Tat verbreitet habe.
Als er gefragt wird, wessen Ahn er denn sei ... und wer er denn selbst sei, antwortet er prompt: „Der junge Mann, der Todeskandidat, der mit dieser Pistole (er zeigt sie vor) sechzehn Menschen tötete. Ich bin der Siebzehnte. Ich bin der junge Mann ...“
„Ah so,“ repliziert der Arzt geduldig. „Und Sie sind zugleich der Ahn...“
„Ja, ein unerwartetes Zusammentreffen. Ich bekam die Pistole eines Tages in die Hand gedrückt ... auf einem öffentlichen Schießplatz ... es war ein schöner, himmelblauer Frühlingstag. Wir schossen Tontauben. Wir trainierten. Der Polizei-Sportverein Domblick hatte uns den Platz verraten. Pistolen, Gewehre, scharfe Munition, alles war verfügbar. Wir bedienten uns. Wir brachten es zur Meisterschaft.“
„Sie brachten es zum Meisterschützen?“
„Aber ja. Ein Wunder war das allerdings nicht. Ich war’s ja schon als Pfeil-, als Bogenschütze. Schon damals waren alle meine Schüsse tödlich. Ich hatte meine Pfeile vergiftet mit dem Blut der nemäischen Hydra ... nachdem wir sie endlich erlegt, die Köpfe abgehackt, die Stümpfe ... weil sie beständig nachwuchsen ... ausgebrannt hatten. Eine Tages rächte sich die Hydra allerdings an mir ... Ich loderte, ich brannte, weil ich das Nessoshemd am Leibe hatte, das mein Weib, Deianeira, mit diesem Blut getränkt hatte. Der Fährmann Nessos, der sich über sie hergemacht hatte, so daß ich ihn hatte töten müssen mit dem Gift meiner Pfeile, hatte ihr sterbend eingeredet, das Blut sei ein Aphrodisiacum, das mich für ewig an sie binden würde. Sie hat die Katastrophe nicht überstanden. Sie hat sich selbst entleibt. Ich dagegen loderte hinauf in den Himmel ... in meiner Asche fand sich keine Spur von mir.“
„Der Himmel rettete Sie anscheinend für die Ewigkeit. Die Geschichte kommt mir übrigens bekannt vor. Ich muß Sie schon irgendwo gehört haben.“
„Schwab, Sagen des klassischen Altertums.“
„Richtig ... da haben Sie das her.“
„Nein, da haben Sie das her.“